Samstag, 22. Dezember 2012

Geh mir doch weg XX: Testosteron mit Wellengang

Peters Blut kochte. Sein Testosteron hatte ordentlich Wellengang. "Könnte man in dieser verfickten Gesellschaft 2.0 mal über Verbindlichkeit sprechen?", fragte er Ische. Die horchte auf und sah ihn erwartungsvoll und schwanzwedelnd an, weil er sie ja schließlich angesprochen hatte. Nicht allzu freundlich, schon klar, aber ganz deutlich angesprochen. Jetzt ist es ja eher unüblich, dass Hunde antworten, wenn Menschen ihnen Fragen stellen. Selbst mit einem ganz einfachen Ja oder Nein tun sich die Wölflinge da in der Regel recht schwer. Und da sind sie dann eben auch schon wieder des Menschen bester Freund.

Foto (c): Thomas Ottensmann

Was war eigentlich so schwer daran, sich verbindlich (Sonntag, 19 Uhr, Plan B, Weihnachtsbesäufnis) zu verabreden? Warum wurden aus einer im - wohlgemerkt nüchternen - Kopf  getroffenen Verabredung im Laufe von wenigen Tagen eine schwammige, lose Kann-Bestimmung? Warum meinten immer alle, es sei völlig in Ordnung, kurzfristig (und damit ist wirklich kurzfristig gemeint, also zwei Minuten vor dem Termin, wenn der andere da schon sitzt und wartet) per SMS launig und ohne Begründung abzusagen, weil man einfach nur zu faul ist, vom Sofa aufzustehen. Oder weil man gerade lieber "Bauer sucht Frau" oder irgend einen anderen hirnzersetzenden Schwachsinn gucken muss. Aus einem "Ich komme auf jeden Fall" wird dann langsam aber sicher ein wachsweiches "Ich weiß es noch nicht so genau" oder ein - das Schlimmste von allen - "Lass uns noch mal telefonieren". 

Peter wollte nicht noch mal telefonieren müssen, um eine verbindliche Verabredung zu verabreden, die ja längst und schon lange verbindlich verabredet war. Und zwar in einem persönlichen Kontakt von Angesicht zu Angesicht. Er knibbelte an seinem Nagelhäutchen. Nie ein gutes Zeichen. Vor allem nicht für das Nagelhäutchen. "Spinnen die denn heutzutage eigentlich alle?". Er brodelte. 

Warum war es in diesen seltsamen Zeiten nicht mehr möglich, sich wie früher zu verabreden? In den 80ern oder 90ern? Dienstag um acht in der Kneipe. Kann halb neun werden. Dann traf man sich. Alle waren da. Wurde vielleicht auch viertel vor neun. Aber keiner kam auf die Idee zu sagen, lass uns doch noch mal telefonieren. Ich schicke noch mal ne SMS. Oder ne Mail. Oder ne persönliche Facebook-Nachricht, verschwörerisch 'PN' genannt. Vielleicht, weil es früher gar keine SMS gab? Weil es gottseidank noch kein Handy gab? Und damit auch keine Menschen, die bei Aldi in der Warteschlange an der Kasse laut über die schlimmen Probleme mit ihrer Analfissur sprachen. Und weil die Eltern am Festnetz immer mithörten, weil die Schnur so kurz war. Und das Telefonieren angeblich so superteuer? Und kein Internet? Und schon mal gar kein Facebook, dieses moderne graue Männchen, das unbarmherzig Zeit stahl? Warum hatten heute eigentlich alle keine Zeit mehr? 

Scheinbar verhielt es sich doch so: Mit der technischen Möglichkeit auch kurzfristig abzusagen, erhöhte sich offenbar die Wahrscheinlichkeit, kurzfristig abzusagen. Weil es so einfach ist. So schnell geht. Auf jeden Fall den richtigen Adressaten trifft. Aber Peter ging es ja um etwas ganz anderes. Verbindliche Zusagen oder verbindliche Absagen. Ein klares Ja oder ein klares Nein. Auf das man sich dann verlassen konnte. Basta. Verbindlichkeit und Verlässlichkeit. Ein aussterbendes Wortpaar. 

Was war daran eigentlich so schwierig? Er konnte mit einem klaren Nein gut leben, hatte genug davon in seinem Leben kassiert. Über Gebühr sogar. Aber das war okay. Bleibt ja nicht aus in so einem Leben, das eine oder andere Nein zu kassieren. Aber selbst für ein verbindliches Nein standen die Zeichen in diesen seltsamen Zeiten eher schlecht. Alle hielten sich immer alles offen. Bis zum Schluss. Bis kurz vor knapp. Könnte ja noch was Besseres kommen. Eine Blondine auf nem weißen Pferd. Oder ein quersitzender Pups.


Foto (c): Thomas Ottensmann

Aber nicht mit ihm. Sie konnten ihn alle mal. Peter sagte verbindlich "Feierabend! Nicht mit mir. Ihr könnt mich alle mal!" und verschickte diese frohe Botschaft an den großen Verteiler. Via SMS, E-Mail und Facebook-Nachricht (PN). Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr, dachte Peter und holte sich noch eine Dose Guinness aus dem Kühlschrank.


(Thomas Ottensmann für: Die Wahrheit. (c) OmO Enterprises 2012)


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