Samstagmorgen, Paketpost. 8Uhr24. Weil unsereins ja glaubt, dass so eine Paketpost mit Abholungsschalter für Einschreiben und anderen Unangenehmkram ja rundumdieuhrig geöffnet haben sollte. Was sie natürlich nicht hat. 8Uhr30 wäre korrekt gewesen. Nun also 8Uhr24. Jetzt ist es ja so, dass der nikotinabhängige Mensch im Leben nicht viele Vorteile hat. Außer, er ist sechs Minuten zu früh an einem Ort, an dem er eigentlich gar nicht sein will und noch nicht mal konkret verabredet. Frischer Atem tut also nix zur Sache.
Was tut dieser nikotinabhängige Mensch dann? Richtig, er geht noch mal vor die Tür, raucht eine dieser viel zu frühen Morgenzigaretten und wartet darauf, dass ein schlecht gelaunter Mensch mit Ärmelschonern und Lesebrille die Jalousien hinter dem Panzerglas hochzieht. Ort des Geschehens: Paketpost, Münster, Hansaring. Architektonischer Charme der 60er Jahre. Also tritt der nikotinabhängige Mensch vor die Tür und zwar möglichst stickum. Jetzt ist es ja so, dass der nikotinabhängige Mensch im Leben nicht viele Vorteile hat. Außer bei Rauchpausen vor der Tür. Denn dort bleibt der nikotinabhängige Mensch selten allein. Unsereins steht da also relativ ahnungslos und raucht und stiert unsiono so lustlos vor sich hin. Dauert gar nicht lang, kommt ein Typ dazu, zieht umständlich die Cowboy-Fluppen aus der Brusttasche unter dem Pullover und fängt ungefragt zu reden an: "Jaaa, dat is noch zu früh. 8Uhr30 steht auf der Karte." Unsereins schon mal unangenehm berührt. Tja, Lesen bildet. Aber weil unsereiner ja glaubt, dass so eine Paketpost mit Abholungsschalter für Einschreiben und anderen Unangenehmkram ja mindestens rundumdieuhrig geöffnet hat, war Lesen ja auch total unnötig.
Also 8Uhr30. Noch sechs Minuten. Drei Züge später noch fünfeinhalb. Schweigendes Inhalieren und Stieren wird ja allzu häufig sehr überbewertet, also gibt sich unsereiner einen Ruck und macht einen auf gepflegte Konversation, was im Land der Mundfaulheit ja schomma prima in die Buchse gehen kann. Cowboy-Fluppen-Heinz, so wollen wir ihn mal nennen, nimmt bereitwillig das lose Bällchen auf und gibt es nicht wieder her. Er ist Fernfahrer, seit 33 Jahren verheiratet, war erst einmal in seinem Leben betrunken (und das noch nicht mal mit Vorsatz) und schämt sich gerne mal für seine Landsleute im Ausland. Er steht nicht auf Badeurlaub, sondern möchte was von Land und Leuten sehen. "Bisschen Kultur", sagt er, "hat noch niemandem geschadet". Ich denke noch so: Jep, gucke auf die Uhr und sehe: Hui, 8Uhr31, gezz abba ma fix zum Schalter. Gehe vor, weil ich ja schließlich auch beim Rauchen der Erste war.
Der Vollzugsbeamte hat die Jalousie längst hochgelassen und trägt wider Erwarten weder Ärmelschoner, noch Lesebrille. Ist auch nicht Mitte 60, sondern eher so meine Kragenweite, wenn auch auf Kante genäht. Egal. Trägt auf jeden Fall auch keine Uniform, sondern zivil. Sehr zivil. Denn er trägt einen HSV-Schal. Die Raute offensiv nach vorn drapiert. Ich sage: "Och, da ist abba einer offensiv. Trägt ganz mutig einen HSV-Schal. Und hat die Raute offensiv nach vorn drapiert. Ist seit letzter Woche jetzt alles wieder gut, was?!" Er sammelt meine ungehörigerweise trotz nachweisbarer Anwesenheit erhaltene Abholungskarte ein und drängelt Cowboyfluppen-Heinz, der hinter mir in der erstaunlich kurzen Schlange steht, seine doch auch schomma abzugeben, denn so könne er sich "einen Weg sparen". HSV-Schalträger hat aufdringliche Gutlaune und ich denke: Och, da gucken wir mal, was ich für dich tun kann und nötige ihm ein Fußball-Fachgespräch auf, erkläre ihm mit einem Fingerzeig auf meine linke Herzkammer, dass Rauten an sich nichts Schlechtes sind, nur die Richtige müsse es schon sein und es gäbe ja - das wüssten wir beide - nur eine Richtige undsoweiter. HSV-Schalträger kommt nun ein bisschen spröde rüber, ein bisschen sehr Olli-Schulzig und schnoddert mir mit einem geübten Griff in das Holzablagefach hinter sich mein erstes Paket zu. Es trägt unübersehbar einen DHL-Aufkleber.
Ich so: "Wie, ein Paket? Warum muss ich denn mein Paket am Hansaring abholen, wenn der Kappenberger Damm um die Ecke liegt?" Olli Schulz: "Reine Schikane. Das machen wir extra. Totale Willkür. Wenn sich der Zusteller ärgert, dass er seinen Brief nicht los wird, dann sucht er sich halt eine möglichst weit entfernt gelegene Abholstation aus". Ich denke: "Geahnt habe ich das immer. Aber endlich gibt es mal jemand zu". Und sage: "Wieso Brief, das ist eindeutig ein Päckchen, da steht ja sogar DHL drauf. Und von denen habe ich erst ganz selten ne Ansichtskarte oder einen Brief erhalten. "Ne, das ist kein Päckchen, sagt Olli Schulz im Brustton der Überzeugung und mit einem launigen Fingerzeig auf mein Päckchen, alles, wo ne Briefmarke drauf klebt, ist ein Brief". Ich spiele mit dem Gedanken, eine 60-Cent-Marke anzulecken und Olli Schulz auf die Stirn zu pappen, aber uns trennt Panzerglas. Mit einer lediglich armlangen, seitlichen Durchreiche. Kein Wunder, dass er dicke Lippe riskiert. In der Wagenburg ist gut Faxen machen.
Schwadroniere also weiter über richtige Rauten und prophezeie Ergebnisse, die sich neun Stunden später fatalerweise auch noch als richtig erweisen werden, was aber gerade nix zur Sache tut. Cowboyfluppenheinz ist derweil gelangweilt. Er mag nicht über Fußball reden. Er sagt: "Ich mag nicht über Fußball reden. Mit Fußball hab ich nix am Hut. Mit Fußball kannze mich jagen." Ich denke noch: Falsch zitiert. In "Jede Menge Kohle" heißt das im Original: "Mit Torte kannze mich jagen", sage das aber natürlich nicht. Und denke nur: Ach, deshalb warste mir eben schon nicht ganz geheuer. Denn wer nicht über Fußball reden mag, der kann ja unterm Strich kein so richtig toften Typ sein, aber das tut hier gerade nix zur Sache.
Ich so: "Wie, Rassist?" Koslowski: "Ja, das sagen immer alle zu mir." Ich so: "Wer genau und warum?" "Meine Arbeitskollegen. Weil ich die Kanacken nicht leiden kann." Ich so: "Moment. Hast du nicht eben draußen gesagt, du habest selbst lange im Ausland gelebt. Schomma drauf gekommen, dass du da der Kanacke warst? Und dass du dich manchmal im Ausland für deine Landsleute schämst und mit Ballermann-Tourismus nix zu tun haben willst? Und ein bisschen Kultur könne nicht schaden? Und dass dich Land und Leute interessieren?". "Ja, schon. Aber doch nicht hier. Nur im Ausland. Deswegen heißen die doch Ausländer. Und wer sich nicht benehmen kann, hat hier nix zu suchen". Ich sammle mein zweites Päckchen, Olli Schulz hält betreten den Rand, friemelt an seiner Fehlraute. Ich sage: "Stimmt genau: Also zieh Leine, Koslowski!".
(Text und Fotos (c): Thomas Ottensmann) |
Was tut dieser nikotinabhängige Mensch dann? Richtig, er geht noch mal vor die Tür, raucht eine dieser viel zu frühen Morgenzigaretten und wartet darauf, dass ein schlecht gelaunter Mensch mit Ärmelschonern und Lesebrille die Jalousien hinter dem Panzerglas hochzieht. Ort des Geschehens: Paketpost, Münster, Hansaring. Architektonischer Charme der 60er Jahre. Also tritt der nikotinabhängige Mensch vor die Tür und zwar möglichst stickum. Jetzt ist es ja so, dass der nikotinabhängige Mensch im Leben nicht viele Vorteile hat. Außer bei Rauchpausen vor der Tür. Denn dort bleibt der nikotinabhängige Mensch selten allein. Unsereins steht da also relativ ahnungslos und raucht und stiert unsiono so lustlos vor sich hin. Dauert gar nicht lang, kommt ein Typ dazu, zieht umständlich die Cowboy-Fluppen aus der Brusttasche unter dem Pullover und fängt ungefragt zu reden an: "Jaaa, dat is noch zu früh. 8Uhr30 steht auf der Karte." Unsereins schon mal unangenehm berührt. Tja, Lesen bildet. Aber weil unsereiner ja glaubt, dass so eine Paketpost mit Abholungsschalter für Einschreiben und anderen Unangenehmkram ja mindestens rundumdieuhrig geöffnet hat, war Lesen ja auch total unnötig.
Also 8Uhr30. Noch sechs Minuten. Drei Züge später noch fünfeinhalb. Schweigendes Inhalieren und Stieren wird ja allzu häufig sehr überbewertet, also gibt sich unsereiner einen Ruck und macht einen auf gepflegte Konversation, was im Land der Mundfaulheit ja schomma prima in die Buchse gehen kann. Cowboy-Fluppen-Heinz, so wollen wir ihn mal nennen, nimmt bereitwillig das lose Bällchen auf und gibt es nicht wieder her. Er ist Fernfahrer, seit 33 Jahren verheiratet, war erst einmal in seinem Leben betrunken (und das noch nicht mal mit Vorsatz) und schämt sich gerne mal für seine Landsleute im Ausland. Er steht nicht auf Badeurlaub, sondern möchte was von Land und Leuten sehen. "Bisschen Kultur", sagt er, "hat noch niemandem geschadet". Ich denke noch so: Jep, gucke auf die Uhr und sehe: Hui, 8Uhr31, gezz abba ma fix zum Schalter. Gehe vor, weil ich ja schließlich auch beim Rauchen der Erste war.
Der Vollzugsbeamte hat die Jalousie längst hochgelassen und trägt wider Erwarten weder Ärmelschoner, noch Lesebrille. Ist auch nicht Mitte 60, sondern eher so meine Kragenweite, wenn auch auf Kante genäht. Egal. Trägt auf jeden Fall auch keine Uniform, sondern zivil. Sehr zivil. Denn er trägt einen HSV-Schal. Die Raute offensiv nach vorn drapiert. Ich sage: "Och, da ist abba einer offensiv. Trägt ganz mutig einen HSV-Schal. Und hat die Raute offensiv nach vorn drapiert. Ist seit letzter Woche jetzt alles wieder gut, was?!" Er sammelt meine ungehörigerweise trotz nachweisbarer Anwesenheit erhaltene Abholungskarte ein und drängelt Cowboyfluppen-Heinz, der hinter mir in der erstaunlich kurzen Schlange steht, seine doch auch schomma abzugeben, denn so könne er sich "einen Weg sparen". HSV-Schalträger hat aufdringliche Gutlaune und ich denke: Och, da gucken wir mal, was ich für dich tun kann und nötige ihm ein Fußball-Fachgespräch auf, erkläre ihm mit einem Fingerzeig auf meine linke Herzkammer, dass Rauten an sich nichts Schlechtes sind, nur die Richtige müsse es schon sein und es gäbe ja - das wüssten wir beide - nur eine Richtige undsoweiter. HSV-Schalträger kommt nun ein bisschen spröde rüber, ein bisschen sehr Olli-Schulzig und schnoddert mir mit einem geübten Griff in das Holzablagefach hinter sich mein erstes Paket zu. Es trägt unübersehbar einen DHL-Aufkleber.
Olli Schulz mischt sich wieder ein, der hat gerne Kundenkontakt und freut sich offenbar, dass in Westfalen zu unchristlicher Zeit überhaupt schon jemand die Zähne auseinander kriegt: "Ach, sieh mal an, der Herr Koslowski mag also nicht über Fußball reden." Ich denke: Ja genau, kann einem doch nicht geheuer sein, so ein Typ. Der könnte ja, wenn er wollte, also über Fußball reden. Der das aber einfach nicht macht, weil er mit Fußball ja nix am Hut hat. Und ich denke noch, dass das jetzt komisch ist, weil er gar keinen trägt. Und sage sowas wie "Na gut, wenn man sich freiwillig ins Abseits stellt, dann muss man sich auch nicht wundern, wenn abgepfiffen wird". Und da sagt Cowboyfluppen-Heinz aka Koslowski: Das sei ihm egal. Denn da stünde er ohnehin. Er sei ja auch Rassist.
Ich so: "Wie, Rassist?" Koslowski: "Ja, das sagen immer alle zu mir." Ich so: "Wer genau und warum?" "Meine Arbeitskollegen. Weil ich die Kanacken nicht leiden kann." Ich so: "Moment. Hast du nicht eben draußen gesagt, du habest selbst lange im Ausland gelebt. Schomma drauf gekommen, dass du da der Kanacke warst? Und dass du dich manchmal im Ausland für deine Landsleute schämst und mit Ballermann-Tourismus nix zu tun haben willst? Und ein bisschen Kultur könne nicht schaden? Und dass dich Land und Leute interessieren?". "Ja, schon. Aber doch nicht hier. Nur im Ausland. Deswegen heißen die doch Ausländer. Und wer sich nicht benehmen kann, hat hier nix zu suchen". Ich sammle mein zweites Päckchen, Olli Schulz hält betreten den Rand, friemelt an seiner Fehlraute. Ich sage: "Stimmt genau: Also zieh Leine, Koslowski!".
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