Mittwoch, 4. Mai 2011

Eine ehrliche Haut

Er sagte mal, er hätte im Nachhinein lieber 50 Länderspiele als 50 Anekdoten gehabt. Doch vielleicht muss man es in der Rückschau auf Ansgar Brinkmanns Fußball-Karriere einfach positiv sehen: Auch die 50 Geschichten - und das ist vermutlich noch niedrig geschätzt - kann ihm keiner mehr nehmen. Und uns, dem Publikum, den Fußball-Fans, auch nicht.

Wie damals, als er aus der Kreisklasse vom BV Cloppenburg II in die 2. Bundesliga zu Eintracht Frankfurt wechselte und vom Reporter der Zeitung mit den großen Buchstaben gefragt wurde, was er eigentlich in Frankfurt wolle. Ansgar Brinkmann musste gar nicht lange überlegen und antwortete "Das kann ich Ihnen sagen. Ich bin hier, um die Mannschaft zu verstärken." Und der Replik des Reporters "Sie haben aber Selbstvertrauen" mit einem munteren "Selbstvertrauen ist mein Hobby" begegnete.

Oder als er bei einem Hallenturnier mit Mainz 05 von den Feldjägern abgeholt wurde, weil er wochenlang den Einberufungsbescheid zur Bundeswehr irgendwie, nunja, ausgeblendet hatte. Er durfte das Turnier zu Ende spielen, wurde später Kapitän der Bundeswehr-Nationalmannschaft. Mit einem legendären Spiel in der Ukraine, nach dem fatalerweise Wodka gegen die Kälte gereicht wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

Der letzte Straßenfußballer und der weiße Brasilianer - Etiketten, die an Ansgar Brinkmann haften blieben. Nicht wegen des Klebstoffs - sondern weil sie passten. Der technisch versierte Dribbelkönig von Preußen Münster, Eintracht Frankfurt, Mainz 05, vom VfL Osnabrück und Arminia Bielefeld (Liste definitiv sehr unvollständig), der auf und neben dem Platz Gegen- und Mitspieler, von Trainern und Funktionären mal ganz abgesehen, gleichermaßen in den Wahnsinn trieb - dieser Dribbelkünstler verhedderte sich allerdings auch außerhalb des Platzes so manches Mal in den Fallstricken des Lebens.

Wie damals, als er in Gütersloh einen Blumenkübel in das Schaufenster eines Friseurladens warf und über die Dächer einiger Taxis spazieren ging. Oder in Bielefeld als es in einem amerikanischen Schnellrestaurant zu einer "verbalen Kabbelei" ("Wenn ich jetzt du wäre, wäre ich lieber ich.") mit nacktem Oberkörper kam. Oder als er in Osnabrück seinen Porsche während einer Polizeikontrolle auf der Kreuzung stehen ließ und im Vollsprint einfach weglief. Oder als er im Trikot von Arminia Bielefeld vor dem Spiel in Bochum in der Kabine erst mal eine Pommes (rot-weiß) verdrückte, weil er mit nüchternem Magen nicht auflaufen wollte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Man kann Ansgar Brinkmann wohl manches vorwerfen, aber eines sicher nicht: Dass er nicht seinen Weg gegangen wäre. Und zu allem steht, war er im Laufe seiner langen Karriere so anstellte. "Der Weg, den ich gegangen bin, war nicht immer richtig. Aber das war ich", sagt er im Vorwort zu seiner Autobiographie "Ansgar Brinkmann - Der weiße Brasilianer" (Delius Klasing 2011), die er gemeinsam mit dem Journalisten Bastian Henrichs schrieb. Vier Jahre nach seinem Abschiedsspiel auf der Bielefelder Alm, zu dem unter anderem alte Weggefährten wie die Nationalspieler Bernd Schneider, Fredi Bobic, Icke Häßler, Thomas Berthold und Uwe Bein kamen, lebt der 41-Jährige wieder in Osnabrück. Er, der in über 20 Jahren für 18 Vereine kickte und dabei 37 Trainer erlebte, ist mal wieder gewechselt. Diesmal auf die andere Seite des Profi-Fußballs.

Er, der sich in seiner Zeit bei Mainz 05 das Zimmer im Trainingslager mit dem heutigen BVB-Trainer Jürgen Klopp teilte, ist jetzt Scout. Sichtet in der ganzen Welt Talente, die es im deutschen Profi-Fußball vielleicht mal schaffen könnten. Er ist unabhängig, scoutet für viele Klubs, unter anderem auch für den SC Preußen Münster. Den Weg auf die andere Seite ebnete Reiner Calmund, der sich als Manager von Bayer 04 einst so ärgerte, weil dem Bielefelder Rechtsaußen der Ball "wie Pattex am Fuß" klebte und Brinkmann die Leverkusener Abwehr quasi im Alleingang sehr oft sehr alt aussehen ließ.

Wie wertvoll gute Talentsichtung im modernen Fußball ist, zeigen die aktuellen Beispiele aus Nürnberg, Mainz und nicht zuletzt aus Dortmund, wo mit jungen, bis vor kurzem noch nahezu unbekannten Spielern begeisternder Fußball geboten wird - der zudem noch erfolgreich ist.

Ansgar Brinkmann hat mal gesagt, dass er dem Fußball auf jeden Fall erhalten bleiben wolle, ob als Scout, Platzwart oder Trainer sei egal. Das Enfant Terrible als Trainer? Gegenfrage: Warum nicht? Die A- und B-Lizenz hat er jedenfalls in der Tasche, die Fußball-Lehrerausbildung soll bald folgen. Denn der Fußball lässt Ansgar Brinkmann nicht los. "Das sind Momente, die man nicht kaufen kann. Jedes Spiel ist anders, jedes Spiel besonders. So ist Fußball, in jeder Liga", sagt Ansgar Brinkmann - und hat mal wieder recht.

Aber was treibt ihn eigentlich an, wo liegt für den ehemaligen Berufsfußballer der Reiz dieses angeblich einfachsten Spiels der Welt? Die Antwort gibt er in seinem Buch: "Es liegt daran, dass im Fußball alles möglich ist, dass der Kleine den Großen schlagen kann, dass es so einfach und doch so kompliziert ist." Ansgar Brinkmann begreift seinen Weg durch 20 Jahre Fußball dabei als Glücksfall. Er sagt, der Fußball habe ihn gerettet. Das darf man wörtlich nehmen. Aber auf die Frage, ob auch Wehmut bei der Arbeit an seinem Buch aufgekommen sei, braucht Ansgar Brinkmann nicht lange zu überlegen: "Wehmut nicht, eher Demut. Denn der Fußball war für mich ein großes Geschenk."

Verwunderlich ist dabei immer wieder, dass er, der für die heftig rivalisierenden Klubs aus Osnabrück, Bielefeld und Münster abwechselnd die Stiefel schnürte, trotzdem auch heute noch von den jeweiligen Fans dieser Klubs als einer der ihren gefeiert wird. So wie in Frankfurt, Dresden und Gütersloh, wo es sogar bis heute einen Ansgar-Brinkmann-Fanclub gibt. Unerklärlich? Mitnichten. Er war ja immer einer von ihnen. "Beim Fußball will ich alles mitbekommen, jede Szene, jede Geste", sagt Ansgar Brinkmann, denn "ich bin ja selbst ein Fan."

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