Samstag, 31. Oktober 2009

Füße und Äxte in Zeiten des Kriegs

Begrabe ich jetzt den Kriegsfuß und stehe ich mit jemandem auf dem gleichnamigen Beil? Ja, deutsh Sprach, schwer Sprach. Eine schöne Abhandlung habe ich mal wieder im nach wie vor unverzichtbaren Duden-Newsletter gefunden. Dieses kleine Textwerk kommt per E-Mail kostenlos ins Haus und die Redaktion des Standard-Nachschlagewerks der deutschen Sprache macht sich in jeder Ausgabe die Mühe, für mich (ja, nur für mich) Redewendungen und ihre Bedeutung zu eruieren. In der aktuellen Ausgabe geht es um Füße und Äxte. Warum stehe ich eigentlich mit jemandem auf Kriegsfuß und warum grabe ich Kriegsbeile ein und aus? Also: Der Kriegsfuß kommt aus Frankreich, genauer ist er vom französischen Begriff sur le pied de guerre abgeleitet. Der Kriegsfuß hat sogar gleich zwei unterschiedliche Bedeutungen. Recht wörtlich genommen werden darf die Redewendung, steht man mit einer Person "auf Kriegsfuß", will sagen, kommt man mit einer Person über einen längeren Zeitraum so gar nicht klar. Hier kann man zur Abwechslung sogar wirklich mal auf einem Bein stehen, denn den Fuß gibt es in Zeiten des Kriegs übrigens definitiv nur im Singular. Zum Beispiel:
"Mit Dirk Niebel stehe ich seit Jahren auf Kriegsfuß."
Im übertragenen Sinne zu verstehen ist die Redewendung allerdings, wenn sie sich auf eine persönliche Fertigkeit oder Tätigkeit bezieht. Mit etwas "auf Kriegsfuß stehen", bedeutet, dass man mit diesem Handwerk seine liebe Müh und Not hat. Zum Beispiel:

"Mit Gebrauchsanweisungen von Elektro-Geräten stehe ich auf Kriegsfuß, seit ich denken kann."

Freitag, 30. Oktober 2009

Gesichtsbuch

Also ich bin jetzt ja auch bei Facebook (und ich zwitschere jetzt auch mal ab und zu dumm rum). Und manchmal ist es im virtuellen Leben ja genauso wie im richtigen. Da hört oder liest man Sachen, die man eigentlich lieber gar nicht wissen will. So auch beim - wie sagt man so schön auf Deutsch - Social Network Facebook.

(Lausiger Screenshot: Thomas Ottensmann)

Ich hatte da gerade mein Profil angelegt und sah dann den wunderschönen Button "Freunde" und ich dachte, da bin ich abba mal gespannt, wer eigentlich meine Freunde sind. Es erschien folgender Text (nach dem ich den Kaffee dann auf hatte, obwohl er erst halb getrunken und noch nicht kalt war):
"Du hast keine Freunde. Sobald du Freunde hast, werden sie hier erscheinen."
Ob das funktioniert? Da bin jetzt abba mal wieder gespannt wie'n Flitzebogen...

Lütke Halloween

Zu meiner Zeit hieß das Lütke Fassenacht und wir Blagen zogen im Herbst durch die überschaubare Nachbarschaft und wir waren verkleidet. Ende Oktober. Und ich weiß noch - da muss ich so 6 oder 7 gewesen sein - dass mir das komisch und spannend und aufregend vorkam, zu einer Zeit, wo gar kein Karneval sein konnte (denn das kam - ganz klar - nach Weihnachten und nicht kurz vorher!), verkleidet durch die Gegend zu laufen und Erwachsene um Süßigkeiten zu erpressen.

Foto: Katrin Weyermann Bötschi, pixelio.de

Wir sagten allerdings nicht "Trick or Treat" (das eine war damals für uns der Neffe von Donald Duck und das andere kannten wir gar nicht), sondern wir sangen (ja, ist mir heute selbst peinlich) an der Haustür. Ging so ähnlich wie "Lütke, Lütke Fassenacht, wir ham gehört, Ihr habt geschlacht..." - weiter weiß ich nicht mehr. Nur noch, dass so manche alte Frau aus der Kriegsgeneration das Lied sehr ernst und leider wörtlich nahm.

Und uns, weil sie gar keine Schokolade oder Spekulatius oder irgendwas Süßes im Haus hatte, Wurst gab. Eine hat mir mal auf meinen Spieß (wir hatten damals so Holzspieße, die wir vorgereckt haben, wenn wir zu Ende gesungen hatten und da wurden dann Würste draufgesteckt oder drumgelegt) ein Viertel Pfund grobe Leberwurst im Naturdarm gespießt. Das fand ich eklig. Und habe geheult (vor Wut und vor Verzweiflung, weil ich nicht wusste, wie ich den Spieß jetzt bis zu nächsten Haustür wieder sauber kriegen konnte) - und weil das so fies stank.

Das erklärt ja wohl so einiges am heutigen Weltspartag! Unter anderem mein gestörtes Verhältnis zu Leberwurst im allgemeinen und zur groben insbesondere. Aber auch diese komische Distanziertheit, wenn die Blagen heute zwar Halloween kennen, und wie selbstverständlich auch "Trick or Treat" sagen, aber nicht mehr Lütke Fassenacht. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich das auch vergessen, bis gerade. Aber was ein studierter Volkskundler ist, der kann sich ja auch mal konstruktiv an sogenannte Heischegänge erinnern.
Schön, wenn er da nicht allein ist: Im Netz findet sich recht viel zu diesem Thema.

Philosophen des Alltags V

"Der Zufall ist das Pseudonym, das der liebe Gott wählt, wenn er inkognito bleiben will."

(Albert Schweitzer, 14.1.1875 - 4.9.1965, evangelischer Theologe, Organist, Musikforscher, Philosoph, Arzt und Friedensnobelpreisträger)

(Foto gefunden auf: sueddeutsche.de)

Mittwoch, 28. Oktober 2009

Hinter jedem Buch steckt ein toter Kopf

Keine Frage, die Merchandising-Abteilung des FC St. Pauli spielt definitiv schon jetzt Erste Bundesliga:

(Foto gefunden auf: fcstpauli.de)

Der Ernst des Lebens

Ich weiß ja seit einigen Wochen wieder, wie seriös es im medialen Leben so zugeht. Ja, Journalismus ist eine überaus ernste Sache! Vor allem, wenn es um Interviews geht. Da spricht man mit hochgestellten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und manchmal sogar mit Prominenten. Letztens war Daniel Bahr in der Redaktion zu Gast (allerdings vor seiner Wahl zum Parlamentarischen Staatssekretär im Gesundheitsministerium) und vorletztens Jan-Josef Liefers, der Promo für seine Tour machen wollte (ja, der Boerne macht auch Musik und ärgert sich immer, dass das kein Schwein weiß).

Da ist es aus Respekt vor dem Gegenüber nicht nur wichtig, dass die Kleiderordnung stimmt, sondern auch, dass die Fragen mit der nötigen Seriosität, ja Ernsthaftigkeit gestellt werden. Ein Paradebeispiel dafür hat vor einiger Zeit wohl ein holländischer Kollege geliefert, als er im Interview in der Talkshow "Boemerang" vor laufenden Fernsehkameras langsam aber sicher die Contenance verlor.

Nicht zuletzt wird dabei auch deutlich, dass es im menschlichen Miteinander nicht nur gewaltige Primär-Reflexe wie Husten, Niesen oder Gähnen gibt (alles im Interview
gleichermaßen verpönt), sondern auch, nun ja, Lachkrämpfe:

Dienstag, 27. Oktober 2009

Keine Wand

Habe gestern Andrè kennengelernt. Andrè kommt jeden Morgen mit seiner Hündin Cora auf dem Weg zur Arbeit am schönsten Kalender-Laden der Stadt vorbei. In den Schaufenstern hängen Panorama-Kalender mit ebenso großartigen wie -formatigen Landschaftsaufnahmen. Toskana und Alpen und Meere und Gärten. Da kann man schon mal ins Träumen geraten. Fernweh garantiert. Auch bei Andrè.


Wenn er dann bei der Arbeit angekommen ist, hat ihn der Alltag wieder. Alles grau in grau, manchmal Regen, kaum Wärme oder gar Sonne. Andrè arbeitet draußen. Unschön im Winter. Er macht das schon lange, seit nunmehr fast zehn Jahren. An seinem Stammplatz, in der nach der Maximilianstraße in München teuersten Einkaufsstraße Deutschlands, in der Ludgeristraße in Münster, steht er seit drei Jahren. Mit einem Einkaufswagen, einigen Decken, einem Schlafsack und seiner Hündin. Das ist alles, was er hat.


(Foto: Henning Hraban Ramm, Quelle: pixelio.de)

Er erzählt mir, dass er jeden Morgen vor dem Schaufenster stehen bleibt und denkt, dass das doch ein toller Job sei, diese Fotos zu machen und zu reisen. Dass er aber leider gerade nicht reisen kann, weil er dafür einfach nicht die Kohle hat. Und dass 98 Euro für einen Wandkalender ja ein stolzer Preis sei, aber das wäre wohl gerechtfertigt, denn schließlich sei das ja etwas sehr Schönes. Er sagt nicht, dass er sich so etwas nicht leisten kann und in absehbarer Zeit auch nicht leisten können wird. Er sagt: "Ich würde mir den gerne kaufen, aber ich habe ja keine Wand."


Und dass er so gerne von der Straße wegkäme und dass seine kleine Schwester das gerade ja geschafft habe und endlich eine Wohnung gefunden habe und dass er darüber sehr froh sei. Er habe schon Magenprobleme bekommen, aus Sorge. Als ich ihn frage, ob er das nicht auch wolle, eine Wohnung, um nicht mehr draußen leben zu müssen, sagt er ja klar, aber das könne er gerade nicht. Weil er ja keinen Pass habe. Weil der 26,50 Euro kostet. Und die bekäme er durchs Schnorren nicht so schnell zusammen. Essen für sich und seinen Hund gehe nun mal vor und so dicke habe er es nicht. Aber er würde trotzdem nicht klauen gehen. Er habe mal drei Jahre im Knast gesessen, sei nicht stolz drauf und das habe ihm gereicht. Also gehe er jetzt lieber schnorren.

Und er habe ja auch einen ganz guten Schlafplatz auf einer der zahlreichen Baustellen in der Innenstadt. Dort sei es warm und geschützt, nur morgens ziemlich laut. Andrè hat es wieder am Magen, seit einigen Tagen. In das kirchliche Krankenhaus, das direkt gegenüber vom Schaufenster mit den schönen Kalendern steht, will er deswegen aber nicht mehr gehen. Da war er vor kurzem, mit Magenkrämpfen, so richtig schlimm, mit Erbrechen und Koliken. Dort habe man ihm aber gesagt, dass "Menschen 3. Klasse" dort nicht erwünscht seien. Er wolle sich ja ohnehin nur ein kostenloses Bett für die Nacht erschnorren, er simuliere doch offensichtlich. Da sei er mit seinen Magenschmerzen dann lieber wieder auf die Baustelle gegangen.

Andrè möchte gerne seinen Realschulabschluss nachholen, würde gerne Journalist werden. Er kann gut reden, weiß zu argumentieren, ist informiert, kann seine Meinung vertreten. Aber sein Streetworker habe gesagt, er dürfe nicht träumen, er müsse zunächst mal bis heute 26,50 Euro zusammenkriegen, für den Pass. Für diesen ersten Schritt weg von der Straße.

Andrè lebt seit zehn Jahren auf der Straße. Er ist 24.