Dienstag, 25. Dezember 2012

Geh mir doch weg XXI: Weihnachtsblues

Na super. Der Weihnachtsblues. Pünktlich wie ein Maurer. Peter war frustriert. Seine neue Freundin hatte ihm passend zu Nikolaus nach nur knapp sechs Wochen schon wieder die Wanderstiefel vor die Tür gestellt. Keine Option für das Fest der Liebe. Er war dann in den letzten Tagen seine Alternativen durchgegangen. Zu Heiligabend hatte sich in den letzten Jahren zumeist etwas ergeben. Manchmal sehr kurzfristig. Er mochte ja nicht fragen, ob er kommen durfte, weil er Angst vor dem Alleinsein hatte. Und wer gibt schon gerne zu, dass er Weihnachten nicht weiß, was er machen soll? Es hatte sich aber bislang noch immer etwas ergeben. Peter wurde eingeladen, im Kreise von Fremdfamilien zu feiern. Er hatte nicht immer sofort angenommen. Vor allem nicht, dass das ernst gemeint war. War es aber - und kam von Herzen. War ja für ihn zumeist gar nicht fremd und auch gar nicht Familie, es waren Freunde - und die kann man sich ja Gottseidank selbst aussuchen. 


Foto (c): Thomas Ottensmann

Diese Heiligabende als Solokünstler waren schön gewesen. Seit er 2009 das letzte Mal eine langjährige Beziehung an die Wand gefahren hatte, musste er ja immer sehen, wo er blieb. Emotional vor allem. An diesem schlimmsten Tag im Jahr. Familie war für ihn keine Option. 21 Jahre Laientheater waren genug, fand Peter. Ja, diese Heiligabende als Solokünstler waren schön gewesen. Ungezwungen, locker, lustig. Dreimal in Folge hatte er bemerkt, dass man anderswo richtig schön feiern konnte, mit gemeinsamem Kochen, Spielen, vernünftiger Musik (The Jam, The Ramones, The Pogues, The Dubliners, Tom Waits)- und ohne sich spätestens beim Einstielen der Nordmann-Tanne an die Gurgel zu gehen. 

Wie im letzten Jahr, als er zum zweiten Mal in Folge bei seiner besten Freundin Anna gefeiert hatte. Anwesend: Reinhard, der Anna auf Peters Geburtstag kennengelernt hatte und der eigentlich seit 27 Jahren Peters alte VWs schraubte. Und die Blagen: Annas Töchter Isa (20) und Lena (18), die bei Peter mal ein Schülerpraktikum absolvierte hatte sowie Reinhards Sohn Paulo (21). War lustig. Man konnte Die Ärzte und Green Day hören, ohne dass die Alten ausflippten. Denn die Alten waren ja sie. Und nun? In diesem Jahr fuhr Anna mit Reinhard und Isa zu ihrem Vater, der Weihnachten zum ersten Mal als Witwer über den Jordan bringen musste. 

Was blieb? Venezia? Leider auch Fehlanzeige. Vor drei Jahren hatte er mit Venezia, mit der er mal vier Jahre lang in einem Buchladen gejobbt hatte und deren Mutter Hilde, einer ehemaligen Rockröhre aus den Siebzigern, gefeiert. Es lief den ganzen Abend 1Live. Mit Mike Litt, dem einsamsten DJ der Welt. Und heute? Hätte Peter liebend gern mit Mike Litt getauscht. Er hatte Weihnachten ja immer gerne gearbeitet. Heiligabend sowieso - zumindest in den zwölf Jahren Einzelhandel. Und dann an den Feiertagen alle Redaktionsdienste übernommen, derer er habhaft werden konnte. Gab Mitleidsbonus von seiner Mutter ("Du armer Peter, musst Du schon wieder an Weihnachten arbeiten?") und Feiertagszulage (plus 50 Prozent). Aber Peter war nicht der einsamste DJ der Welt. Nur der einsamste Peter der Welt. Denn Venezia feierte mit ihrer Mutter und ihrem neuen Lover Robbi bei dessen Familie, gemeinsam mit den beiden Hunden.

Peter hatte Heiligmittag kurz an die Bahnhofsmission gedacht. Und den Plan dann verworfen, weil er meinte, 'dieser Tag fühlt sich wie ein Samstag an, mit Markt und offenen Geschäften und allem Zipp und Zapp, also kriege ich den auch so rum wie einen handelsüblichen Samstag. Mit Badewanne und Musik und Büchern und Fernsehen.' Aber Pustekuchen. Das Kopfkino spielte "A Fairytale Of New York" und zack! war Weihnachten. Und er allein. Zum ersten Mal seit 48 Jahren. 


Foto (c): Thomas Ottensmann

Ohnehin gehörte die Adventszeit mit ihren grauenhaften Weihnachtsmärkten und diesem erhitzten Billigsüßwein und den beliebigen Fressbuden für Peter zu den schlimmsten Zeiten des Jahres. Mit dem unbestrittenen Kulminationspunkt Heiligabend, der Mutter aller Familienkatastrophen. 1. Tag, 2. Tag - eine Lachnummer, die konnte man prima mit Fernsehen und Lesen und Musik und Besuchen bei Freunden verdaddeln. Aber Heiligabend? Alles schläft, einsam wacht. Peter war schon lange wach. Hellwach. Seit 2.38 Uhr. Und einsam. Denn Ische hatte einfach munter weiter geschnorchelt. Wie clever Hunde doch sind.


(Thomas Ottensmann für: Die Wahrheit. (c) OmO Enterprises 2012)


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