Dienstag, 18. Dezember 2012

Geh mir doch weg XIX: Jede Menge Schotter

Soviel Schotter hatte Peter noch nie gesehen. Zumindest nicht auf einem Haufen. Dumm nur, dass der Schotter jetzt in seiner Auffahrt lag. Neben den amputierten Ästen der Magnolie. Und den beiden Bitumen-Fässern. Und den Resten der neuen Plastik-Abwasserrohre. Und den Resten der alten, zertrümmerten Steingut-Rohre. Und den abgedeckten Gehwegplatten. Und hinter dem Mini-Bagger. Ja, so sieht ein gepflegter Vorgarten aus, dachte Peter, als er in seiner Einfahrt stand. Fehlt nur noch die Lichterkette im Verschnitt. Peter hatte etwas übrig für Weihnachtsdeko, wie er ohnehin ein Faible für das Fest der Liebe und des Konsumrauschs hatte. So romantisch. So harmonisch. So friedvoll. Ja, dachte Peter beseelt, Weihnachten kann kommen.

(Foto (c): Thomas Ottensmann)

Schließlich hatte er wieder Wasser. Sogar fließendes. Manchmal sogar warmes. Das zeichnete sich anfangs nicht direkt ab. Denn nach dem doppelten Wasserrohrbuch hatte die Versicherung ihm recht schnell deutlich gemacht, dass es sich „leider nicht um einen Versicherungsfall“ handelte. Ja, sie hatten wirklich von „leider nicht“ gesprochen und als Peter ungläubig in der Police nachlas, bemerkte er erst jetzt, dass es 2006, kurz nach der bejubelten Übernahme der recht günstigen Altversicherung eine klammheimliche Anpassung der Police gegeben hatte. Mit der Folge, dass die Versicherung 12 Euro im Jahr weniger kostete. Und dem Kleingedruckten, dass Leitungen außerhalb des Hauses nicht mehr mitversichert seien.

Und jetzt: Kein Versicherungsfall. Sondern natürlicher Verschleiß. Natürlich. Bei Verschleiß dachte Peter jetzt eher an seine Nerven, als an die prähistorischen Steingutrohre, die sie mühsamst aus dem Erdreich unter der Einfahrt vor der Garage gebuddelt hatten. Mussten aus den späten Sechzigern sein, damals war der Anbau an das halbe Haus gesetzt worden. Und im freien Spiel der Kräfte hatten die Jungs damals die Leitungen nach Lust und Laune verlegt. Und nicht etwa der Nase nach, auf direktem und kürzesten Weg zum Kanalanschluss.

Ja, sie hatten ein klein wenig suchen müssen - einen halben Tag lang, um genau zu sein - hatten dabei die Magnolie verstümmelt, nur um rauszufinden, wo zum Teufel die Abwasserleitung verlief. Als sie dann einen Kanalortungsdienst bestellten, um endlich Sicherheit zu bekommen (in den Plänen der Stadt und in denen der Stadtwerke war zwar alles fein verzeichnet, aber leider falsch), fiel der erste Schnee. Mit dem ersten Frost zusammen ein Hindernis, das mühelos jeder Spitzhacke trotzte. Nun also im Frühjahr nochmal fröhliches Schachten im eigenen Vorgarten. Kostet ja auch nix, dachte Peter. Aber half ja auch nix, musste ja gemacht werden. Zumindest sah es wieder gut aus, was die Pflanzen im 50 Jahre alten, grünen Entree zum halben Haus anging.

(Foto (c): Thomas Ottensmann)


Selbst die Magnolie, deren Wurzelwerk tief in die Rohre gedrungen war und die so für die ersten umjubelten Überschwemmungen im Keller gesorgt hatte, konnte wohl ein dauerhaftes Bleiberecht erhalten. Also hatte es sich doch gelohnt. Der Baum  bleibt. Peter freute sich schon auf die Blüte im Frühjahr. Dann würde er dort am Fenster, an seinem uralten Sekretär sitzen und dem Baum beim Blühen zugucken. Wenn alles gut ging. Bis dahin musste er sich nur überlegen, wie er diesmal das Geld auftreiben sollte. Was das alles kosten würde. Peter harkte lustlos den Schotter zusammen. Er summte leise "A Fairytale Of New York" von den Pogues vor sich hin. Sein Lieblingsweihnachtslied. "Happy Christmas, Your Arse. Maybe it's Your Last." Peter hatte die Auffahrt nun ziemlich geglättet. Jede Menge Schotter. Ja, dachte er dezent angepisst, Weihnachten kann wirklich kommen.


The Pogues - A Fairytale Of New York



(Thomas Ottensmann für: Die Wahrheit. (c) OmO Enterprises 2012)



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