Samstag, 13. Oktober 2007

Der Phantom-Stau

Das war’s. Drei Tage Buchmesse. Jungejunge. Ganz schön anstrengend. Aber auch toll. Gefühlte Zeitspanne: 800 Stunden.

Ich dachte, es wäre ein Abenteuer, aber in Wirklichkeit war es das Leben. Joseph Conrad hatte auch hier – wie so oft – Recht. Schon erstaunlich, was alles passiert, wenn man auf die Straße geht und sich volle Breitseite vom Leben frontal erfassen lässt. Mein lieber Schwan.

Nein, die Beobachtung von Promis quasi in ihrer angestammten freien Wildbahn, war nicht aufregend. Manchmal ist es einfach nur erstaunlich, wie klein Maybrit Illner in echt ist und wie viel Leben aus ihrem Gesicht schon abzulesen ist, wenn sie mal nicht von der Kamera 3 auf ihrer Schokoladenseite ausgeleuchtet wird.

Schon verwunderlich, wie sich Altmeister wie Blacky Fuchsberger nicht zu schade dafür sind, das in Massen zu seinem Interview gekommene Publikum abzuwatschen, weil es in seinen Augen oftmals "zu anspruchslos und duldsam" sei.

Und erfreulich zu beobachten, wie natürlich und freundlich eine Sarah Wiener ein ehrlich gemeintes Kompliment annehmen kann. Und wie groß und unprätentios das Selbstbewusstsein von Kleinen gegen die Lässigkeit der Großen wirkt, die oftmals lediglich als mühsam überschminkte Arroganz durchschimmert.

Und sonst: Wie jede Messe, nur potenziert. Viele wichtige Wichtigtuer, viele Schnorrer und Ergatterer. Überteuertes, schlechtes Messe-Essen, volle Aschenbecher, lange Schlangen. Aber auch: Nette, zuvorkommende Menschen downtown Mainhattan – schon ein liebenswertes Völkchen, diese Hessen.

Zumindest manche, wie der Kioskbetreiber in der U-Bahn-Station Willy-Brandt-Platz. Der Armenier aus der Türkei, seit 30 Jahren in Deutschland, hat ein paar Semester Medizin studiert, wurde dann Informatiker, ehe er nach ein paar Jahren im Beruf gelangweilt nach neuen Aufregungen suchte. Die hat er in seinem Kiosk jetzt nahezu täglich: Hochnäsige Banker, die ihre (legalen) Drogen bei ihm kaufen und versuchen beim Wechselgeld zu mogeln. Und Jugendgangs, die immer wieder versuchen, ihn zu beklauen. Und es leider manchmal schaffen. Davon zeugen die verwackelten Bilder der Überwachungskamera, die als Mahnmal am Kaugummi-Regal kleben. Die Täter sind vielleicht 13, höchstens 15 und tragen teure HipHop-Klamotten und billige Baseball-Caps. Oder werden als „Satanistin“ klassifiziert, womit das ausgeprägte Gothic-Outfit und die auffälligen Gesichts-Piercings gemeint sind.

Oder der Bedienstete der Öffentlichen Verkehrsmittel in unmittelbarer Nähe des Frankfurter Rotlichtviertels, der mir persönlich (!) in seiner Mittagspause (!!) zwischen Frikadelle mit Löwensenf und BLÖD-Zeitung in geschätzten 45 Sekunden den Unterschied zwischen Kurzstrecke und Normaltarif erklärt. Auf Deutsch, ohne Amtssprache und in aller Seelenruhe. Ja, so etwas gibt es noch. Damit hatte ich persönlich nach meiner Pause nicht gerechnet. Danke an dieser Stelle - stellvertretend für alle Reisenden im Nah- und Fernverkehr, die schon so oft verzweifelt versuchten den Fahrschein-Automaten zu verstehen und anschließend auf der Suche nach einem auskunftswilligen Bediensteten der Verkehrsbetriebe entweder in Agonie oder direkt in tiefste Frustration verfielen. Weil beides in der Regel misslingt – außer durch Zufall.

Apropos: Nur durch glückliche Fügung, unfassbare Umwege und stundenlanges munter-im-Kreis-fahren durfte ich am Donnerstagabend an der Hotelbar – ich erwähnte es gestern kurz - einen weiteren netten Menschen kennen lernen. Einen Juristen. Mit ihm hatte ich abends das letzte Bier getrunken und mit ihm habe ich dann am Abreisetag in aller Herrgottsfrühe mein Frühstück eingenommen. Dann ein kleiner Fußmarsch durch den nebligen Morgen Richtung Amtsgericht, wo er in einer Art Freundschaftshilfe unterwegs war. Und wieder: nette, unterhaltsame Gespräche über dies und das. Vertrautheit ohne Grund und Verschworenheit ohne Hintergrund. Erstaunlich.

Habe dann heute Morgen auch noch einen netten Beamten aus Berlin am Frühstücksbüfett getroffen, der am Versuchsaufbau des sogenannten Castor-Experiments beteiligt war. Man ließ einen dieser vorgeblichen Atommüll-Tresore aus 25 Metern Höhe auf Beton fallen – und das Behältnis wirkte danach mehr oder minder heile. Daher die Mär von der Sicherheit dieser großen Mülltonnen. Aber wenn ein Castor nun wirklich unkaputtbar ist, ist dann nur deshalb auch gleich der Mülltourismus mit ebenso hochstrahlendem wie –giftigem Atomabfall durch halb Europa sicher? Weiß nicht.

Am Freitagmorgen dann der Besuch im wahrlich wunderschönen Rheingau. In Eltville scheint es mehr Weinstöcke als Menschen zu geben. Manche haben die Berge quasi im Garten. Und wenn sie sich abends mit einem Glas Sonnenberg zuprosten, dann lassen sie sich quasi ihren Grundstücksnachbarn auf der Zunge zergehen. Wohlsein!

Naja, dann viel zu spät wieder zurück auf der Messe, dort zwei alte Kolleginnen aus OWL getroffen und einige nette TAZen am Stand der unermüdlichen Wahrheits-Forscher aus Berlin. Superpünktlich um 18 Uhr am Parkplatz Rebstock 1 (sic!) losgefahren und aus alter Gewohnheit und lieb gewonnener Tradition zunächst mal in die falsche Richtung gefahren. Nach einigen Kilometern Stop-and-Go auf der Innenstadt-Umgehung mutig um den Springbrunnen am Fuße des Messegeländes herum gefahren und ab nach Hause. Eigentlich hätten 3 Stunden für die 286 Kilometer locker gereicht. Es wurden leider 5 Stunden und fünf Minuten, ehe ich den Motor endlich für immer abwürgen durfte.

Der Verursacher hieß mit Vornamen Stau und mit Nachnamen An einer Baustelle. Auf der Sauerlandlinie waren nach Angaben von WDR 2 um 20.30 Uhr 10 Kilometer zähfließender Verkehr, weil nur ein Fahrstreifen zur Verfügung stand. Eine Stunde später wurde der Stau im Radio dann gar nicht mehr erwähnt. Wir aber hatten in 60 Minuten gerade einmal 4,3 Kilometer im beliebten Stop-and-Go-Verfahren bewältigt und ein Ende war nicht in Sicht. Es schien als schöben wir die 10 Kilometer vor uns her in Richtung Münsterland. Nach 90 Minuten meldete WDR 2 dann 7 Kilometer zwischen Lüdenscheid-Nord und Hagen-Süd, wo wir uns immer noch befanden und inzwischen 11000 Meter zurückgelegt hatten.

Ich kürze es ab: 100 Minuten für 11,8 Kilometer und danach freie Fahrt für freie, aber müde Bürger. Abba gezz: Wieder daheim und endlich in den Federn. Und morgen früh in alter Frische (ersteres: ja, zweiteres: nein) ab ans Werk. Schließlich will die Schicht von 10-18 Uhr bewältigt werden. Der Samstag als ganz profaner Werktag – ob ich mich daran je gewöhnen kann? Ich mailde mich widder!

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