Dienstag, 27. Januar 2009

Ey, Busfahrer! (Episode 1)

Irgendwas stört mich da in der dritten Tiefschlafphase. Da brummt doch was. Wer bohrt denn da mitten in der Nacht? Und warum leuchtet die Kommode so komisch? Es dauert einen Moment, dann erinnere ich mich dunkel. Was im Übrigen prima zu meinem Schlafzimmer passt. Und weiß widder, wo ich bin: 21. Jahrhundert, irgendwo mitten in Westfalen. Leuchtende Brummteile auf Kommoden sind zu 99,8 Prozent Mobiltelefone und werden in diesem Land eigentümlicherweise Handy* genannt.

Ich kämpfe mich also aus der gemütlich-warmen Firche und will wissen, wie spät es ist und wer zum Teufel mich um diese unchristliche Zeit weckt und warum. Wie sich herausstellt, ist es 5Uhr36 und meine Freundin teilt mir atemlos mit, dass sie soeben auf einer sehr dunklen, sehr stark befahrenen Bundesstraße mit ihrem Auto das gemacht hat, was ich gerade liebend gerne getan hätte: Sie ist liegengeblieben. Und fragt mich, ob ich sie nicht abholen könne.

Nun gut, ich lege also einen Alarmstart der besseren Sorte hin. Habe ja schließlich gedient, vor gefühlten 45 und gelebten 25 Jahren. Etwas kaltes Wasser ins Gesicht
spritzen. Die Klamotten von gestern müssen noch mal ran und ganz schnell noch mal eben über'n Zahn gehen, fertig. Auf die Zufuhr eines koffeinhaltigen Heißgetränks, ohne dass ich normalerweise zu dieser Uhrzeit nicht zu den zivilisierten Lebewesen zu rechnen bin, verzichte ich in der Hektik.

Denke, ich bin ja in einer halben Stunde ohnehin widder zu Hause und kann dann ganz in Ruhe frühstücken. Und überhaupt. Ich muss ja erst um 10 Uhr zum Job. Könnte vorher ja sogar noch Brötchen holen. Und dann ganz in Ruhe mit Zeitung und Radio ausführlich die wichtigste Mahlzeit des Tages einnehmen. Soweit die Theorie.


Ich bin also um vier Minuten nach 6 Uhr an dieser sehr dunklen, sehr stark befahrenen Bundesstraße. Und frage erst mich und dann meine Freundin, wohin ich sie denn nun eigentlich bringen soll. Zu ihrem Job in einem 30 Kilometer entfernten Kaff, wo sie das Büro in einer Taxi- und Schulbuszentrale schmeißt. Oder doch lieber zur Filiale in Münster, was mir, zugegeben, deutlich lieber wäre. Und was jetzt eigentlich mit ihrem Auto passiert, dass da mit traurigem Warnblinklicht auf der gestrichelten Fläche zwischen einer Ampel und einer Abfahrt auf einer sehr dunklen und sehr stark befahrenen Bundesstraße steht.

Sie sagt: "Wir haben ja schon widder ein ganz anderes Problem." Ich denke: Wer ist jetzt "Wir"? Und was kann nach einem Motorschaden in stockdunkler Nacht und der wirklich sehr ergiebigen Meimelatur überhaupt noch kommen?


Sie sagt mir, dass schon widder ein Fahrer ausgefallen ist. Und dass nun widder einige Kinder vergeblich auf den Bulli warten, der sie zur Schule bringt. Und dass sich deren Eltern bestimmt widder aufregen und ihrem Chef die Hölle heiß machen. Und dass ihr Chef sie schon gefragt hat, ob sie die Kinder nicht fahren könne. Sie sich das abba nicht zutraue, weil sie noch nie einen Bulli gefahren habe.

Ich höre mich sagen: "Ich könnte das wohl machen. Abba da hat sich dein Chef leider den falschen Tag ausgesucht. Ich muss um 10 Uhr beim Job sein." Meine Freundin sagt, dass die Kinder dann längst inner Schule sind und ich das locker schaffen könne. Fein, aus der Nummer kam ich natürlich nicht mehr raus. Sie ruft also widder ihren Chef an und sagt, dass ich die Tour wohl übernehmen könne.
Wir kommen also an der stockdusteren Taxizentrale an. Im Hinterhof steht der Fuhrpark, paar Taxen, zwei Bullis. Ich also rauf auf den Bock, Heizung volle Pulle und los geht die wilde Fahrt. Da fuchtelt meine Freundin vor der beschlagenen Scheibe rum. Watt denn gezz noch? Sie meint, ich müsse erst noch "einen Bogdan abholen." Ich muss watt? "Ohne Begleitperson darfst Du nicht fahren."


Betreutes Fahren. Hatte ich auch noch nie. Kenne ich nur von den Führerscheinanfängern heutzutage. Wenn die mit 17 den Lappen kriegen, das ist das so'n Vorläufiger. Und die dürfen dann immer nur mit einer Begleitperson hinter's Steuer. Abba ich werde bald 45, habe seit fast 27 Jahren den Führerschein und brauchte noch nie einen Bogdan. Außer heute.Ich würde gerne wissen, wo ich denn den Bogdan finde und erfahre, dass er an einem Supermarkt am Straßenrand wartet. Und wie ich den erkennen kann, sagt mir leider niemand. Na super. Noch nicht mal ne Nelke im Knopfloch oder ne Zeitung unterm Arm. Ich gucke auf die Uhr. 6.16 Uhr. Denke noch kurz an das arme kleine Auto, das da traurig vor sich hin warnblinkt. Abba keine Zeit: Muss Bogdan abholen und dann acht Kinder zur Schule bringen.

(wird fortgesetzt)


* Allerdings nur in diesem unserem Land, im Rest der Welt heißen die Dinger Cell-Phones. Und es ist komisch, dass ausgerechnet in Deutschland, diesem Land der Coffee-To-Gos, Sales, Events und Grand Openings, ausgerechnet das Handy weiter Handy heißt.

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