Dienstag, 26. April 2011

Drei Flossen für die Seele

Der Sonnenaufgang kann sich sehen lassen. Ist ja weiß Gott keine Seltenheit auf Teneriffa. Doch dieser Sonnenaufgang auf der größten Insel des kanarischen Archipels ist trotzdem etwas Besonderes. Es ist der Morgen nach den regenreichsten 24 Stunden seit über 500 Tagen. Machtlose Scheibenwischer auf höchster Stufe, überflutete Straßen, Wasserfälle aus Felsmassiven. Als müsse die Insel gleich kentern. 

Wirkt wie gestellt. War aber echt, live und in Farbe.

(Foto (c): Thomas Ottensmann)

Nichts geht mehr auf dem Eiland, das geographisch zu Spanien, aber meteorologisch zu Afrika gehört. Regen ist hier so ungewöhnlich, dass kaum jemand gewappnet ist. Schade für den Touristen - aber vor allem: schlechte Aussichten für den nächsten Tag. Zu nass, zu windig, zu unsicher. Dabei sollte es der Höhepunkt der Reise werden. Mit dem Katamaran raus auf den Atlantik, Richtung La Gomera - dieser wohl urwüchsigsten kanarischen Insel. Und dann mit etwas Geduld und Spucke: Wale und Delfine sehen!

Es ist diese eine Stelle zwischen Teneriffa und La Gomera, diese 9000 Meter tiefe Meeresspalte, die Wale und Delfine offenbar magisch anzieht. Sie fühlen sich so wohl, dass sie hier ihren Nachwuchs großziehen. Denn dort unten, in dieser Meerestiefe, haben diese großen Säuger quasi ihre nasse Vorratskammer, die praktisch immer mit ihrer Lieblingsspeise gefüllt ist: frische Riesenkraken. Deswegen kommen auch regelmäßig alle
Teneriffa, wie man es aus
dem
Prospekt kennt.


(Foto (c): Thomas Ottensmann)
Verwandten dieser Grindwale zu Besuch. Der Atlantik zwischen Teneriffa und La Gomera gilt nicht umsonst als Meeresregion mit der weltweit größten Artenvielfalt von Walen und Delfinen.

Was Wunder, dass der Massentourismus vor den Kanaren das „Whale Watching“ als Einnahmequelle entdeckt hat. Lange Zeit stand die kommerzielle Beobachtung der großen Meeressäuger vor Teneriffa in der Kritik von Umweltschützern und Meeresbiologen. Im Übrigen völlig zu Recht. Mit hunderten feierwütiger Touristen an Bord fuhren sie früher auf zig Motorbooten mit mehr Sangria als Diesel an Deck quasi im Stundentakt raus - und dann mitten in die erspähten Walfamilien hinein. Ein Horror, der für die sensiblen Tiere nicht selten mit Verstümmelung oder Tod endete. Doch diese Zeiten, die deutlich mehr an die unseligen Zeiten des Walfangs als an Walbeobachtung erinnerten, scheinen so langsam der Vergangenheit anzugehören.

Mittlerweile bieten vor allem große Touristik-Unternehmen wie  beispielsweise die TUI nachhaltigen Tourismus, der nur folgerichtig in der Gründung der gemeinnnützigen Initiative Futouris e.V. mündete. Dieser Verein hat sich Umwelt- und Klimaschutz ebenso auf die Fahnen geschrieben wie den Erhalt der biologischen Vielfalt. Soziokulturelle Verantwortung schreibt die TUI jetzt groß. Und nicht nur, weil es ein Hauptwort ist.
Marèn Bökamp ist Meeresbiologin.
Sie beobachtet Wale und Delfine beruflich.


 (Foto (c): Thomas Ottensmann)

Nun fahren also Meeresbiologen mit Katamaranen zu den Walen raus – und nehmen bei der Gelegenheit einfach ein paar Touristen mit. „Ihr habt Glück mit dem Wetter“, sagt Marèn Bökamp, die eigentlich in Oldenburg arbeitet.
Sie ist neben Maria del Mar Cañado die zweite Wissenschaftlerin, die bei Futouris vor Ort mit der Erforschung der Meeressäuger beschäftigt ist. Die Tiere werden beobachtet und anhand ihrer Rückenflossen katalogisiert. „Man kann die einzelnen Tiere wirklich gut erkennen. Keine Rückenflosse ist wie die andere. Die eine hat Narben oder Bisswunden, die andere eine rundlichere Form – das ist wirklich, wie bei uns der Fingerabdruck, ganz unverwechselbar“, erklärt Marèn Bökamp unterwegs.

Denn es geht also doch noch raus auf den Atlantik. Der Wellengang ist moderat, vor der Küste Teneriffas liegt im Wolkennebel ein gigantischer Regenbogen. Wirkt wie arrangiert für die Augen der geneigten Beobachter. Dann ein Ausruf: Delfine. In ein paar hundert Metern Entfernung. Auf dem Katamaran sind wohl fünfzig Menschen an Bord, aber es wird ganz leise. Der Motor ist längst aus, die Segel eingeholt. Kommunikation im Flüstermodus. Erwartungsvolle Stille.
Magischer Moment:
Drei Flossen
für die Seele.


(Foto (c): Thomas Ottensmann)
Und dann sind sie auf einmal wirklich da. Erst eine Rückenflosse, dann zwei, dann drei. Aufgetaucht aus glitzerndem Nichts. Aber keine Define, es sind Wale! Sie schwimmen zusammen, ganz langsam, dicht neben dem Boot. Drei Jungtiere, die, wie Marèn Bökamp flüstert, „Mittagspause haben und ganz entspannt ein bisschen spielen.“ Und die dieser komische Katamaran dann doch so interessiert hat, dass sie die 500 Meter mal eben herübergeschwommen sind. Denn Wale sind – genauso wie Delfine, die heute offenbar ihren freien Tag haben und sich gar nicht blicken lassen – interessiert geboren. Man könnte auch sagen: neugierig.

Und das ist der Schlüssel des sanften Whale-Watchings. Man fährt raus, ist leise und wartet, ob die Tiere heute Lust haben und zum Menschen-Gucken kommen wollen. Unsere drei Teenager mit Flosse wollten. Sie begleiten das Boot für eine ganze Weile. Sieben, acht Minuten. In wenigen Metern Entfernung umrunden sie den Katamaran, bis – so scheint es - alle Menschen ihre Fotos endlich im Kasten haben. Dann tauchen sie wieder ab und hinterlassen an Bord verklärte Gesichter und verzauberte Seelen - ganz nachhaltig.

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