Sonntag, 21. Oktober 2012

Geh mir doch weg II: Juckende Gedanken

War das wirklich nötig? Diese leisen Zweifel, die sich in schwachen Momenten in sein Denken fraßen, die störten etwas. Juckende Gedanken. Wie so eine Stelle mit zu trockener Haut, irgendwo da zwischen den Schulterblättern. Man kommt nicht so richtig hin. Es nervt. Kratzen. Es juckt. Kratzen. Die Haut spannt. Weil sie viel zu trocken ist. Will sie gießen, mit Öl. Baden, in Butter. Zukleistern, mit Fettcreme. Zur Not mit den Fingernägeln aufreißen, damit zumindest irgendeine Körperflüssigkeit - zur Not die rote - ein bisschen Feuchtigkeit in die Ödnis sprenkelt. Kratzen, kratzen, KRATZEN!
(Foto (c): Thomas Ottensmann)
Aber selbst mit dem dick eingecremten Handrücken verfehlt er dann oft genug diesen einen winzigen Fleck, der einfach immer übrig und immer trocken bleibt. Und weiter juckt. Und weiter spannt. Und die helfende dritte Hand ist natürlich gerade nicht da. Ist aushäusig. Oder zu Tisch. Oder schläft schon. Und dann muss ja eine Lösung her. Irgendeine Lösung, egal welche. Notfalls die scharfe Klinge. Lieber ein sauberer Schmerz als dieses schmutzige Jucken. Einfach jucken lassen und irrsinnig werden ist ja unterm Strich kein befriedigender Lösungsansatz. 

Muss ja zu schaffen sein. Irgendwie. Egal wie. Babyöl über die Schulter den Rücken runterfließen lassen. Ordentlich auf die Pulle drücken. Den vollen Strahl. Gibt immer eine Riesensauerei. Einmal hat er sich dabei die teure Anzughose ruiniert. Aber war dringend. Eine halbe Flasche Babyöl hatte er sich über den Rücken geschüttet. Nur damit dieses Reißen, dieses Ziehen, dieses schlimme Jucken zwischen den Schulterblättern endlich aufhört. "Hättest du nicht warten können?", hatte Antje rhetorisch gefragt. "Wie dumm du bist! Die Buxe kannst Du wegwerfen." Aber das Jucken hatte dann ja aufgehört. Endlich aufgehört. Hauptsache. Exakt sieben Minuten bevor sich der Schlüssel im Schloss drehte und Antje nach Hause kam. Sieben Minuten. 250 Euro über der Wupper. Dafür hatte das Jucken endlich aufgehört. Und was ging denn vor?

"Scheiß auf die Hose. Hey, Baby, ich hab's doch. Und Du warst schließlich nicht hier, als es bei mir juckte. Also? Ich hatte ja wohl keine Wahl", dachte Peter Wunderlich. "Ja, ich hätte warten sollen. Ich habe wohl nicht nachgedacht", sagte Peter Wunderlich. Und jetzt wieder diese störenden Zweifel, diese juckenden Gedanken. Kribbelte wie ein Gewitterwürmchen am Haaransatz. 4 Zimmer - check, 4 Türen - check. Hochzeit, Flitterwochen, Sitzheizung - check. Weiter, weiter, immer weiter. Das Leben ist großartig. Und so einfach. Aber die Frage blieb: War das alles wirklich nötig? Peter Wunderlich schabte sich mit dem Handrücken zwischen den Schulterblättern. Seine Gedanken ließen sich ja schwerlich kratzen. 

(Thomas Ottensmann für: Die Wahrheit. (c) OmO Enterprises 2012)

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