Samstag, 3. November 2012

Geh mir doch weg XII: Kritische Tage

Ische hatte längst angehalten. Er konnte seine rabenschwarze Hündin in der Düsternis nur noch an ihrem Leuchthalsband erkennen. Und auch nur, weil das Mondlicht gerade so eben ausreichte, um ihr Reflektorhalsband glimmen zu lassen. Ganz schwach zwar nur, aber immerhin. Eigentlich konnte das Halsband das auch alleine. Es leuchtete blutrot. Oder blinkte. Wenn die Batterien Saft hatten. Das Billig-Halsband hatte allerdings nur sechs Wochen geblinkt. Aber was wollte er erwarten? Kam aus einem Ein-Euro-Shop. Also bitteschön. Sechs Wochen für einen Euro waren nicht so schlecht. Und die Blinkies waren bestimmt nicht für ausgedehnte Nachtwanderungen von mehreren Stunden gedacht. Pro Tag - oder vielmehr pro Nacht - war Peter Wunderlich jetzt wohl an die zwei, drei Stunden mit seiner Hündin unterwegs. In den letzten Tagen bestimmt noch länger.

"Am dunkelsten ist es immer kurz vor Sonnenaufgang." 
(Hank Schrader) 

Ische war zum ersten Mal läufig geworden. Mit zehn Monaten schon ein Neustart des Lebens. Peter hatte dafür wesentlich länger gebraucht. Ische hatte sich in den letzten Tagen verändert. War bis zur Halskrause voll mit neuen Gefühlen. Manchmal hatte Peter das Gefühl, dass die schlanke Hündin mit den langen Stelzenbeinen fast taumelte, so besoffen schien sie von den Hormoncocktails. Sie war jetzt in den kritischen Tagen. Die erste Woche war ja ungefährlich und harmlos. Sicher, sie hatte getrieft wie ein Kieslaster. Was Peter aber nur aus seinem Schlafsack wusste, in den Ische immer dann heimlich schlüpfte, wenn Peter schlief. Sollte sie nicht. Durfte sie nicht. Tat sie aber. Weil Peter schnarchte und sie das nicht für eine konkrete Anweisung hielt. Vielmehr deutete der Hund das offenbar als Aufforderung zu Körperkontakt. Hatte zwar ihre eigene Pferdedecke, die direkt zwischen Peter und dem Feuer lag. Aber sie brauchte jetzt scheinbar ihr Rudel. Gerade jetzt. Noch viel dringender brauchte Ische seit neuestem aber einen Kerl. Jetzt. Gleich. Sofort. Um ihren Erfahrungshorizont auszudehnen. Und Rüden mal von einer ganz anderen Seite kennen zu lernen. Und endlich Mutter zu werden.


(Foto: Thomas Ottensmann)
Das hatte Peter gerade noch gefehlt. Tagsüber konnte er sie kaum am Strick halten. Weil Isches Kinderwunsch offenbar überhand genommen hatte. Und weil sie zudem ein ganz neues Parfüm aufgelegt hatte, um den Rüden die Köpfe zu verdrehen. Die Duftnote 'Harzer Roller' musste man als Mensch nicht direkt reizvoll empfinden, aber draußen war Peter das so gut wie egal. Nur wenn er morgens aufwachte und aus seinem Schlafsack dieses blumige Bouquet nach Käsemauken in seine Nasenflügel kroch, war sein Zäpfchen manchmal nur schwer unter Kontrolle zu halten. Aber der Erfolg gab Ische recht. Sie zog mittlerweile ein Rudel liebestoller Rüden nach sich. Peter war mit Feldstecher unterwegs und ging oft große Bogen, um  Isches Freier weiträumig zu umgehen. Also lieber nachts unterwegs sein. Dann ließ Peter sie sogar von der Leine, damit Ische in Ruhe ihrem zweitliebsten Hobby nachgehen konnte. 


(Foto: Thomas Ottensmann)
Was hatte er erwartet? Er wusste, dass sie ein Jagdhund werden würde. Da hatten die Gene des Papas ganze Arbeit geleistet. Bis Peter seine Hündin abgeholt hatte, hielt er Vorsteher für eine Drüse - und ein beliebtes Spielzeug für Urologen. Jetzt wusste er es besser. Ische war ein Vorsteher par excellence. Sie harrte nun schon minutenlang vor dem Gebüsch an der kleinen Lichtung aus. Die linke Pfote gehoben, die Rute konzentriert aufgerichtet, den Kopf nach vorne gestreckt. Witterung auf vollem Empfang. Der Hund bebte vor Erregung und Anspannung. Die Hinterläufe vibrierten, der Behang zitterte wie Espenlaub. Ische reagierte nicht mehr auf Peters leises Schnalzen. Ließ sich auch nicht mit einem Bröckchen Straußenleber locken. Das musste ja etwas ganz Spannendes sein, in diesem Gebüsch. 

Im Gehölz raschelte es. Ische jippste kurz, aufgeregt blickte sie sich zu Peter um. Wollte offenbar etwas sagen. Soviel wie: Obacht, hier kommt gleich was. Ich schicke dir das raus. Den Rest erledigst du, okay? So in etwa. Peter war gelangweilt. Ein weiteres Kaninchen. Oder ein Eichhörnchen? Wohl kaum. Die waren nachts auf den Bäumen. Vielleicht ein Igel? Ische jippste wieder, einmal ,zweimal, dreimal. Jetzt kommt's dachte Peter und wusste zwei Sekunden später nicht mehr, wie ihm geschah.

(Thomas Ottensmann für: Die Wahrheit. (c) OmO Enterprises 2012)


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