Ische hatte längst angehalten. Er konnte seine rabenschwarze Hündin in der Düsternis nur noch an ihrem Leuchthalsband erkennen. Und auch nur, weil das Mondlicht gerade so eben ausreichte, um ihr Reflektorhalsband glimmen zu lassen. Ganz schwach zwar nur, aber immerhin. Eigentlich konnte das Halsband das auch alleine. Es leuchtete blutrot. Oder blinkte. Wenn die Batterien Saft hatten. Das Billig-Halsband hatte allerdings nur sechs Wochen geblinkt. Aber was wollte er erwarten? Kam aus einem Ein-Euro-Shop. Also bitteschön. Sechs Wochen für einen Euro waren nicht so schlecht. Und die Blinkies waren bestimmt nicht für ausgedehnte Nachtwanderungen von mehreren Stunden gedacht. Pro Tag - oder vielmehr pro Nacht - war Peter Wunderlich jetzt wohl an die zwei, drei Stunden mit seiner Hündin unterwegs. In den letzten Tagen bestimmt noch länger.
"Am dunkelsten ist es immer kurz vor Sonnenaufgang."
(Hank Schrader)
Ische war zum ersten Mal läufig geworden. Mit zehn Monaten schon ein Neustart des Lebens. Peter hatte dafür wesentlich länger gebraucht. Ische hatte sich in den letzten Tagen verändert. War bis zur Halskrause voll mit neuen Gefühlen. Manchmal hatte Peter das Gefühl, dass die schlanke Hündin mit den langen Stelzenbeinen fast taumelte, so besoffen schien sie von den Hormoncocktails. Sie war jetzt in den kritischen Tagen. Die erste Woche war ja ungefährlich und harmlos. Sicher, sie hatte getrieft wie ein Kieslaster. Was Peter aber nur aus seinem Schlafsack wusste, in den Ische immer dann heimlich schlüpfte, wenn Peter schlief. Sollte sie nicht. Durfte sie nicht. Tat sie aber. Weil Peter schnarchte und sie das nicht für eine konkrete Anweisung hielt. Vielmehr deutete der Hund das offenbar als Aufforderung zu Körperkontakt. Hatte zwar ihre eigene Pferdedecke, die direkt zwischen Peter und dem Feuer lag. Aber sie brauchte jetzt scheinbar ihr Rudel. Gerade jetzt. Noch viel dringender brauchte Ische seit neuestem aber einen Kerl. Jetzt. Gleich. Sofort. Um ihren Erfahrungshorizont auszudehnen. Und Rüden mal von einer ganz anderen Seite kennen zu lernen. Und endlich Mutter zu werden.
(Foto: Thomas Ottensmann) |
(Foto: Thomas Ottensmann) |
Im Gehölz raschelte es. Ische jippste kurz, aufgeregt blickte sie sich zu Peter um. Wollte offenbar etwas sagen. Soviel wie: Obacht, hier kommt gleich was. Ich schicke dir das raus. Den Rest erledigst du, okay? So in etwa. Peter war gelangweilt. Ein weiteres Kaninchen. Oder ein Eichhörnchen? Wohl kaum. Die waren nachts auf den Bäumen. Vielleicht ein Igel? Ische jippste wieder, einmal ,zweimal, dreimal. Jetzt kommt's dachte Peter und wusste zwei Sekunden später nicht mehr, wie ihm geschah.
(Thomas Ottensmann für: Die Wahrheit. (c) OmO Enterprises 2012)
Was bisher geschah.
11) Geh mir doch weg XI: Ungelegen
10) Geh mir doch weg X: Die Summe der Laster
9) Geh mir doch weg IX: Halbe Ewigkeit
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