Sonntag, 18. November 2012

Geh mir doch weg XVII: Hobby zum Beruf

Zugegeben, das war nicht klug gewesen. Peter stand auf dem Balkon und rauchte. Die Augen geschlossen. Die Schultern hingen wie tote Tiere von der Wirbelsäule. Mit Zeigefinger und Daumen massierte er sich die Nasenwurzel. Auf seinen Körper war Verlass. Immerhin. Die bohrenden Kopfschmerzen über dem dritten Auge hatten sich soeben zwischen seinen Brauen niedergelassen. Pünktlich wie ein Maurer. Schade, dachte Peter, dass man für Psychosomatik nicht bezahlt wird. Dann könnte ich mein Hobby zum Beruf machen. Und prima davon leben. 

Selten hatte er Bettina so furios erlebt. Okay, in dem ersten halben Jahr nach der zweiten Trennung, da war sie auch in Höchstform gewesen. Aber auch damals hatte er ein gerüttelt Maß zu ihrem Zorn beigetragen und war ihr beim Aufregen regelmäßig und durchaus engagiert behilflich. Als er den Namen ihres neuen Freundes auf ihrem Klingelschild ergänzt hatte. Ein klarer Akt der Nächstenliebe. Oder als er mit einem weißen Taschentuch fröhlich zum Abschied winkte, als Bettina mit ihrem neuen Lover zu einem romantischen Liebesurlaub in Süddeutschland aufbrach. 

Aber heute war sie noch einen Tick furioser. Klar, ihre Nerven lagen blank. Was kein Wunder war, wenn der frühe Samstagmorgen mit einem unterhaltsamen Wasserrohrbruch begann. Und man das Gefühl nicht loswird, da habe jemand in der Wand einen Hahn aufgedreht. Die Hauptleitung war schnell gesperrt, der unmotivierte Klempner-Notdienst sah nach dem rechten und meinte, da könne man auf Verdacht jetzt so gar nix machen, außer allüberall die Wand aufzustemmen und das könne ja keiner wollen, vor allem er nicht. Aber vor allem auch wir nicht, weil es keine Garantie dafür gebe, dass dadurch auch das wahre Leck gefunden werde, aber Dreck gebe es dafür jede Menge, das sogar unter Garantie. Und ohne Ortungsdienst, der nach der ursächlichen Stelle suche, brauche man jetzt erstmal nichts zu tun, denn - nach einer Probe-Entriegelung des Haupthahns - lief nichts mehr nach. Also Entwarnung. 

(Foto (c): Thomas Ottensmann)
Peter war beruhigt. Und ging erst mal mit Ische auf seine obligatorische Runde durch den Wald. Aber schon da war er in schlechte Gesellschaft geraten. Fiese Kopfschmerzen krochen seinen frisch ausrasierten Nacken hoch. Er musste den Spaziergang nach einer knappen Stunde abbrechen. Die grelle Herbstsonne, die er sonst so genoss, stach in seine Augen wie eine Hornisse. Trotz der dunklen Sonnenbrille. Die Kopfschmerzen waren mittlerweile über seinen Schädel gewandert, hatten die Fontanelle beiläufig anästhisiert und hingen ihm auf dem Nachhauseweg schließlich schon wie ein Pony in den Augen. Als er zuhause ankam, sah er auf dem Disply seines Smartphones zwei Anrufe in Abwesenheit. Es war Bettina gewesen, die ihn zweimal zu erreichen versucht hatte. 

Klar, er hatte das Klingeln wohl gehört, konnte aber nicht rangehen, weil er im Auto saß und keinen Bock hatte, schon wieder 40 Euro zu blechen und noch einen Punkt in Flensburg zu kassieren. Er war ja quasi ante portas. In fünf Minuten da. Zuhause war von Bettina aber keine Spur. Sie hatte ihm auch nicht auf die Mailbox gequatscht. Auch keine SMS geschickt. Konnte wohl nicht so wichtig gewesen sein.

Peter ließ sich erstmal eine Badewanne mit diesem entspannenden Moorzusatz ein. Der Nacken war taub, die Kopfschmerzen saßen wie ein Helm und hatten seine Augen mittlerweile zu schmalen Schlitzen zusammengeschoben. Peter hatte selten Kopfschmerzen, aber wenn, dann wie aus dem Lehrbuch. Als er gerade in die Wanne steigen wollte, rief Bettina ein drittes Mal an, wie sich herausstellte aus dem Keller. "Von wegen, da läuft nichts nach. Ich habe das mal getestet und volle Pulle Wasser laufen lassen. Das sprudelt jetzt wieder munter aus der Wand. Gib mir mal die Nummer vom Notdienst. Die müssen nochmal kommen. Komm mal runter und guck Dir die Sauerei an." Peter hatte dankend abgelehnt und gesagt, er habe bohrende Kopfschmerzen und wolle eigentlich nur noch ins Bett. "Zwei leckere Thomapyrin und das Problem ist gelöst", hatte Bettina noch heiter gesagt, obwohl ihre mentale Verfassung eher wolkig wirkte.


Foto (c): Thomas Ottensmann)


Das Vollbad hatte gut getan. Peters Nacken hatte sich im dampfend heißen Wasser ein wenig entspannt. Der Helm hatte den Kinngurt gelöst. Er wollte jetzt nur noch ins frisch bezogene Bett. Ein wenig die Augen schließen. Dann würden die Kopfschmerzen nicht den ganzen Tag an seinem Bett sitzen bleiben. Das konnte ja keiner wollen, vor allem Peter nicht. Mit einem Blick auf das schmutzig-braune Moorwasser hatte er dann geistesabwesend den Stöpsel gezogen und sich das Badelaken um die Lenden gewickelt. Als er gerade ins abgedunkelte Schlafzimmer wanken wollte, kam Bettina wie eine Lok auf zwei Beinen die Treppe hoch: "Hömma, hast Du sie eigentlich noch alle?". Sie brüllte. Hysterisch. "Wie kannst Du denn jetzt Wasser verbrauchen? Weißt Du, wie das unten aussieht? Die Kacke kannst Du selbst wegmachen". Ihre Stimme überschlug sich. "Was bescheuerteres als Dich gibt es ja gar nicht". Ihr eigentlich recht hübsches Gesicht war von hektischen roten Flecken hässlich geschminkt. Danke gleichfalls, sagte Peter kleinlaut. Aber da war sie längst abgedampft.


(Thomas Ottensmann für: Die Wahrheit. (c) OmO Enterprises 2012)


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